Mk 13,24-32
17.11.2024
Liebe Schwestern und Brüder!
1. Wir sind im Monat November, der uns durch den herbstlichen Verfall der Natur und die vielen Totengedenktage an die Vergänglichkeit erinnert. So scheut sich die Liturgie der Kirche nicht, uns genau in diesem Monat Texte zuzumuten, die gut zu diesem Monat passen, aber für uns sehr schwierige Texte sind. Schwierig vor alle auch durch die Bilder, die hier benutzt werden. Wir sollten diese Texte nicht umgehen, da sie ja bewusst ausgewählt wurden und zu uns sprechen wollen, wie ja auch die uns umgebende Natur im November für eine bestimmte innere Stimmung sorgt. Die Texte der Liturgie greifen diese Stimmung auf und wollen sie zu einer religiösen und theologischen Aussage verdichten. Aber der Reihe nach:
2. Die Texte, die wir heute hörten, gehören zur Gattung der apokalyptischen Literatur. Einige späte alttestamentlichen Schriften, einige Passagen der Evangelien sowie das Buch der Offenbarung gehören zum Beispiel dazu. Die apokalyptische Literatur thematisiert eine Grunderfahrung: Es ist die Erfahrung der Vergänglichkeit und des Untergangs. Diese Erfahrung wird konkret in Kriegen und Unterdrückung. Das heißt aber auch, dass die apokalyptische Literatur genau dort entstanden ist, wo Menschen unter Krieg und Unterdrückung leiden. Das Buch Daniel, woraus wir die erste Lesung hörten, ist entstanden zurzeit der Unterdrückung der Juden durch die Seleukiden, also Mazedonier, die damals in Israel herrschten, etwa im 2. Jahrhundert vor Christus. Jesus und die Autoren der Evangelien lebten unter der gewalttägigen Herrschaft der Römer. Die apokalyptischen Texte leben aus diesen Erfahrungen der Kriege, der Angst, der Unterdrückung somit der Vergänglichkeit und des drohenden Untergangs. In großartigen Bildern wird dies thematisiert: „In jenen Tagen wird die Sonne sich verfinstern und der Mond wir nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.“ Diese großartigen Bilder haben Künstler, Maler, Filmemacher und Komponisten, zu wunderbaren Werken inspiriert. Religiöse Endzeitenthusiasten wie politische Utopisten, die die Zerstörung des Alten förderten, um Neues werden zu lassen, wurden von diesen Texten inspiriert. Das Thema „Endzeit“ macht doch irgendwie neugierig. Kurz gesagt: Die apokalyptischen Texte sagen ganz allgemein: „Alle Ordnungen und Sicherheiten werden durchschlagen, alle Beheimatungen und Orientierungen auf dieser Welt werden ausgeschlossen. Es gibt hier keine letzte Beheimatung.“ Es geht also um das Äußerste auch der menschlichen Existenz. Es geht in der Tat um ein ganz extremes Thema, und damit ein spannendes Thema: Was passiert an den Grenzen der Existenz und der ganzen Welt, ja sogar darüber hinaus: Was passiert jenseits des Untergangs? Dabei muss noch beachtet werden, dass zwar die apokalyptischen Texte einen großen Raum abstecken, also vom Untergang ganzer Epochen, ja sogar der Welt sprechen, aber aus der Erfahrung des Menschen ist es gleich, ob der Mensch nun mit der Welt untergeht oder ob er die Erfahrung eines persönlichen Untergangs und Sterbens macht.
3. Dies wird deutlich an den sogenannten Boten des Untergangs. Das Markus-Evangelium spricht: „Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, erkennt ihr, dass er Sommer nahe ist. So erkennt auch ihr, wenn ihr das geschehen seht, dass der Menschensohn nahe ist.“ Es gibt als Zeichen, an denen man das kommende Ende erkennt. Für die Autoren der damaligen Zeit waren es die Zeichen der Unterdrückung, des Krieges, der Ausbeutung. Aber auch im persönlichen Bereich gibt es Zeichen wie Enttäuschungen, Krankheit, Schmerz, die Mühen des Alterns, Misserfolge, Todeserfahrungen usw. Es gibt sie, diese Zeichen, die uns daran erinnern, dass wir hier nicht beheimatet sind. Mal konkret gesagt: Menschen, die aus eigener Erfahrung diese Zeichen der Vergänglichkeit ihrer Existenz auf sich zukommen sehen, die also spüren, dass sie loslassen müssen, für die also bildlich gesprochen, sich die Sonne verfinstert, also alles, was ihr Leben erhellt hat, und die Sterne vom Himmel fallen sehen, also ihre Ideale, Idole, Hoffnungen, ihre Stars loslassen müssen, diese Menschen haben einen anderen Bezug zum Leben und zur Erde als diejenigen, die sich der Vergänglichkeit und einem möglichen nahen Ende noch nicht stellen mussten.
4. Und da nun entwickelt die apokalyptische Literatur ihre Kraft und ihren Trost. Sie lebt aus der Erfahrung von Zerstörung und Gewalt und Untergang, bleibt aber nicht dabei stehen, sondern vermittelt eine andere Sicht der Dinge. Es wird uns gesagt, dass jenseits der Grenze das Geschehen ein „Kommen des Menschensohnes“ ist, eine Wiederkunft. Ein Kommen Jesu, den der hoffende und glaubende Mensch dann erwarten darf, ja nicht nur er darf es erwarten, erst ist auch ein von Gott Erwarteter. Es kommt zu einer Begegnung, auf die hin alles Leben treibt. Diese Begegnung nennen wir Vollendung des eigenen Lebens sowie der ganzen Schöpfung, wie immer wir uns das vorstellen mögen. Nicht das Verenden, sondern das Vollenden hat das letzte Wort. Keiner Macht, keinem Schicksal, keiner Bedrohung, keinem Geschehen erkennen wir das letzte Wort zu, sondern das letzte Wort ist Gnade, Vergebung, Erbarmen, Freiheit, Erfüllung, Vollendung, Liebe und Geborgenheit. Und noch viel mehr, was nicht in Worte gefasst werden kann. Alle apokalyptischen Texte betonen das Vorläufige, das in den das Endgültige mündet.
Franz Langstein