Predigt an Allerheiligen und Allerseelen  2025

Allerheilgen  1 Joh 3,1-3

01.11.2025

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Wenn wir heute „Allerheiligen“ feiern, also wenn wir heute Menschen feiern, die wir als „Heilige“ bezeichnen, dann tun wir damit etwas ungeheuer Gewagtes, eigentlich etwas Unerhörtes. Denn nur Gott ist heilig. Wenn wir also sagen, dass auch Menschen heilig sind, drücken wir damit aus: Gottes Wesen teilt sich mit und wird damit sichtbar und erfahrbar in dieser Welt durch uns. Und wir drücken aus: Gott schenkt uns Teilhabe an seiner Heiligkeit, also an seinem Wesen. Wir können überhaupt nur Allerheiligen feiern, wenn Gott ein Gott ist, der sich mitteilt und der nicht bei sich selbst bleibt. Und wir, der Mensch, ist das Ziel der Selbstmitteilung Gottes. Die Heiligen sind mit ihrer Existenz das lebendige Symbol eines Einbruchs des Göttlichen in das Irdische.

2. Aber die Frage ist in der Tat: Haben wir überhaupt noch ein Gespür für das Heilige, das heißt für eine uns fremde Dimension des Lebens? Ist in einer Zeit, in der der Rationalismus seine Siegeszüge feiert, überhaupt noch Platz für das Irrationale, also für das dem menschlichen Verstand Unzugängliche und Unverständliche? „Die Welt erkennt uns nicht, weil sie Christus nicht erkannt hat“, schreibt Johannes in der heutigen Lesung. Und hat die Kirche nicht immer wieder die Moral betont und das Sündigsein des Menschen und weniger seine Heiligkeit, seine von Gott geschenkte Heiligkeit, die wir ja in der Taufe gefeiert haben. Die Taufe ist ja die Feier der Würde des Menschen, die in der Selbstmitteilung Gottes begründet ist. Heiligkeit und Tugendhaftigkeit sind zwei verschiedenen Dinge. Und jubeln nicht viele den Päpsten und den Bischöfen oder Pfarrern zu, die – je nach eigener Einstellung – die Kirche zurück zur Tradition führen oder nach vorne in die Umsetzung längst fälliger Reformen? Die sind das dann gute Päpste oder Bischöfe oder Priester, die dies oder jenes tun. Aber sind das wirklich die herausragenden Gestalten der Kirche, die den Erwartungen der einen oder anderen Gruppe entsprechen? Und so muss man wohl feststellen, dass selbst bis ins Christentum hinein das Gespür für die Heiligkeit des Menschen verloren gegangen ist. Leute, die etwas machen, werden gesucht, nicht Leute, die etwas sind. Der heilige Mensch als Ort der Gegenwart göttlicher Dimension ist weitgehend verloren gegangen.

3. Im Heiligen leuchtet etwas auf und wird etwas inmitten unserer Welt fühlbar, was nicht von dieser Welt ist. Somit ist der Verlust der Heiligen immer auch ein Verlust des Heiligen, ein Verlust Gottes, kurz: Eine Verarmung unserer Welt, weil sie diese auf sich selbst reduziert und nicht mehr mit dem Einbruch des Göttlichen rechnet. Und es ist ein Verlust des Menschen, der seiner Heiligkeit, also einer wesentlichen Seinsqualität, verlustig wird und zurückgeworfen wird auf sich selbst und nun die Qualität seines Lebens selbst machen muss. Nein, die Heiligen eröffnen uns eine Dimension, über die man nur in ein maßloses Staunen geraten kann, weil es letztlich das Staunen über einen Gott ist, der sich dem Menschen schenkt und ihn teilhaben lässt an seinem Wesen, seiner Ewigkeit und Herrlichkeit und Heiligkeit. Die Beschäftigung mit den Heiligen und das Feiern der Heiligkeit des Menschen, wie wir das heute an Allerheiligen tun, ist eine Bereicherung für den Menschen. Der Verlust des Heiligen ist ein Verlust für den Menschen und ein Verlust der Gegenwart Gottes in unserer Welt.

4. So gesehen sind also die Heiligen die konkrete Gestalt des christlichen Erlösungsglaubens, der darin besteht, dass ja gerade Gott in unsere Niedrigkeit gekommen ist, um uns zu bewohnen. Sind sie sozusagen die Verleiblichung, die Konkretisierung unseres Glaubens, lebendige Denkmäler. Die Heiligen offenbaren uns allein durch ihre Existenz die Liebe Gottes, die erst dann zur Ruhe kommt, wenn sie im Menschen angekommen ist. So sind die Heiligen für uns Zeugen dessen, wie Gott uns liebt. Obgleich die Heiligen als herausragende Gestalten insbesondere zum Ort der Gegenwart Gottes geworden sind, will doch Gott durch sie alle Menschen ansprechen. Der Heilige ist nie für sich heilig, sondern als Zeuge der Liebe Gottes für andere. In der herausragenden Gestalt des Heiligen erkennen wir, zu was wir selbst berufen sind: Der Heilige, Gott selbst, möchte in seiner Liebe auch uns bewohnen, bei uns wohnen, in uns wohnen. Kurz: Er möchte das, was wir jetzt feiern: Communio mit uns.

Franz Langstein

Allerseelen   1 Kor 15,35-37.42-44a      Joh 14, 27-29

1. Wenn uns Menschen ein schweres Schicksal ereilt oder wenn ein geliebter Mensch durch den Tod aus unserer Mitte gerissen wird, dann kommt oft unwillkürlich die Frage auf: „Warum?“ Warum musste das so geschehen? Diese Frage scheint auf den ersten Blick etwas merkwürdig, weiß man doch, warum so etwas geschehen ist: Da war schon jemand längere Zeit schwer krank; da hatte jemand einen Herzinfarkt; da ist jemand zu schnell Auto gefahren. Die Ursachen sind oft bekannt. Und doch fragt der Mensch „Warum?“ Er fragt nach dem Warum, weil es bei dieser Frage nicht um die Ursachen geht, sondern um den Sinn. Warum musste jemand sterben, was ist der Sinn darin?

2. Es ist die Sinnfrage. Und dass wir die Sinnfrage zu stellen imstande sind, das hat eine tiefe Bedeutung. Wir begnügen uns nicht mit den Ursachen. Wenn uns jemand genau erklären könnte, weshalb da jemand gestorben ist oder vielleicht sogar, weshalb da jemand auf tragische Weise sterben musste, so sind wir damit nicht zufrieden. Die Kenntnis der Ursachen reicht uns nicht. Wir fragen weiter: „Warum?“ Was ist der Sinn dahinter?

3. Die Frage nach dem Sinn hat also eine tiefe Ursache, die in unserem Wesen liegt. Und zu unserem Wesen gehört, dass wir einen Menschen so lieben können, dass sein Verlust nicht einfach hingenommen werden kann, sondern dieser Verlust einen Sinn haben muss. Einen Menschen lieben heißt nämlich, ihm eine große Bedeutung und einen großen Wert beizumessen. „Du bist für mich unendlich wertvoll“. Und weil ein Mensch so einen großen Wert beigemessen werden kann, sind wir nicht einfach damit zufrieden, wenn uns jemand eine Auskunft geben kann über die Ursachen seines Todes. Das ist zu wenig. Wir möchten, dass dieser für uns so wertvolle Mensch nicht einfach so vergeblich stirbt, sondern dass sein Tod durch irgendwie einen Sinn hat. „Warum“ kommt dann aus der Tiefe des liebenden Herzens. Wir könnten ruhiger sein, gäbe es darauf eine Antwort.

4. Den Jüngern Jesu ging es ganz ähnlich. Jesus war auf schändlichste Weise hingerichtet worden – ihr Meister, den sie für den Messias hielten. Er starb – so schien es – völlig sinnlos. Die Ursache war klar: Weil einige etwas gegen ihn hatten und weil diese die Macht hatten, konnten sie ihn zu Tode bringen. Aber was war der Sinn? Warum musste der Messias so sterben? Allmählich erst, nach vielen Jahren, dämmerte es den Jüngern, dass hinter allem, auch hinter diesem brutalen Tod ein tieferer Sinn liegt. Die heiligen Schriften berichten uns darüber.

5. Da haben wir eine tiefe Antwort aus dem Johannesevangelium, das wir gerade gehört haben. Johannes schreibt über Jesus, dass er zu seinen Jüngern gesagt hat, sie sollten sich freuen, da er zum Vater gehe. Hier geht es um unseren Lebensweg. Er hat einen Sinn. Wir sind geboren, weil unser Ziel der Weg zu Gott ist. Wir alle gehen diesen Weg unseres Lebens nicht ziellos oder sinnlos. Wir dümpeln nicht im Meer des Lebens, hin und her geworfen von den Winden und Wellen, sondern wir alle gehen zu Gott, dem Vater. Unser Leben hat einen tiefen Sinn. Und in der Lesung aus dem Ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth hörten wir: „Was du säst, hat noch nicht die Gestalt, die entstehen wird… Was gesät wird, ist verweslich, was auferweckt wird, unverweslich.“ Die Antwort der Heiligen Schrift ist klar: Es gibt eine höhere Wirklichkeit, die wir in uns tragen. Diese Wirklichkeit ist nicht identisch mit unserer äußeren Erscheinung. „Was du säst, hat noch nicht die Gestalt, die entstehen wird.“ Unser Leben ist mehr, als wir ahnen. Deshalb ist es richtig, dass wir nach einem höheren Sinn fragen, als ahnten wir, dass das hier nicht alles sein kann.

6. Ich ende mit einem Gedicht von Hermann Hesse, geschrieben 1933.

Welkes Blatt:

Jede Blüte will zur Frucht,
Jeder Morgen Abend werden,
Ewiges ist nicht auf Erden
Als der Wandel, als die Flucht.

Auch der schönste Sommer will
Einmal Herbst und Welke spüren.
Halte, Blatt, geduldig still,
Wenn der Wind dich will entführen.

Spiel dein Spiel und wehr dich nicht,
Laß es still geschehen.
Laß vom Winde, der dich bricht,
Dich nach Hause wehen.