1. Weihnachtstag
25.12.2025
Liebe Schwestern und Brüder!
1. Wir feiern Weihnachten. Und viele Menschen draußen feiern Weihnachten. Bürgerlich, brav, bieder, alle Jahre wieder. Das Ungeheuerliche des Weihnachtsfestes kommt nicht oder kaum zur Sprache. Das Ungeheuerliche ist eine Zusammenfassung und drückt sich in drei Worten aus:
2. „Gott wird Mensch“. Man traut es sich kaum zu sagen, ohne sich einer gewissen Ehrfurchtslosigkeit vor Gott schuldig zu machen. Wie könnten wir glauben, dass dieser heilige und in seiner Majestät, Absolutheit nicht fassbare Gott Mensch werden könnte. Später wird die Christenheit noch einen draufsetzen uns sagen: Christus ist „wahrer Gott vom wahren Gott, eines Wesens mit dem Vater.“ Für so manche Christen ist hier Schluss. Solche Aussagen sind störend, wenn man als Christ ernst genommen werden wollte. Sie sind verstörend. Reden wir lieber davon, dass hier in Kind liegt, dass sich großartig einsetzte für die Entrechteten und Ausgegrenzten und Maßstäbe gesetzt hat, wie wir miteinander umgehen könnten. Freilich so Sätze wie, dass man die Feinde lieben solle, also Putin lieben solle, dass kann man freilich nicht ganz ernst nehmen. Und dann hören wir die schönen Weihnachtsgeschichten von der Krippe, in dem ein besonderes Kind liegt, von Engel, die darob jubilieren, von Hirten, die Gott loben und später von den Heiligen Drei Königen, die anbeten werden. Also doch ein göttliches Kind, doch eine Gestalt Gottes, doch eine anbetungswürdige Gegenwart Gottes.
3. Und dann hören wir im Johannes-Evangelium in gewohnt theologischer Präzision: „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen.“ Und spätestens hier wären wir nach all dem Gesagten an einem Punkt, an dem wir nicht mehr umhinkommen, in diesem Kind nur doch mehr zu sehen als einen bloßen Menschen. Jetzt müssten wir erklären kund vertiefen, was daraus folgt und was es heißt: Er ist Gottes Sohn, er ist das Abbild Gottes, er ist eines Wesens mit dem Vater. Und am Ende müssten wir sagen: Dieser Mensch Jesus ist eine Offenbarung des Wesens Gottes. Hier ist mehr also nur aus dem mütterlichen Schoß hervorgegangenes Menschenkind, hier ist jemand, der auch aus Gott hervorgegangen ist, durch den Gott in unserer Welt erfahrbar wird. „Wahrer Gott und wahrer Mensch.“ Und viele dieser Ausführungen würden die Betonung legen auf den „wahren Gott.“ Hier, in diesem Kind, wird der wahre Gott geoffenbart, nicht ein sich vorgestellter Gott, nicht ein Gottesbild. Aber das möchte ich heute nicht vertiefen. Ich möchte die andere Seite dieses Satzes, „wahrer Gott und wahrer Mensch“ betrachten: Hier wird nämlich auch der wahre Mensch offenbar.
4. An diesem Kind erkennen wir, was wahres Menschsein heißt. Wir erkennen, wer wir sind, zu was wir berufen sind, in welche Richtung wir geistlich wachsen sollen. Hier wird uns von Gott geoffenbart, was es heißt, Mensch zu sein. Und das Leben Jesu gibt Zeugnis darüber, was es heißt: Mensch zu sein, wahrhaft menschlich zu sein. Und wie sähe eine Welt aus, in der die Mensch so lebten, oder zumindest ein Bewusstsein davon hätten, wer sie in Wahrheit sind. Und hier liegt nun dieses Kind und offenbart uns diese Würde: Wir sagen: Sohn Gottes. Und wir erkennen in ihm unsere eigene Kindschaft Gottes. Wir sagen über dieses Kind, dass Gott in ihm und durch ihn sei. Und wir erkennen, dass zum Menschsein genau das gehört: Gott ist mit uns, in uns und wird durch uns erfahrbar. Wir sagen, in diesem Kind ist die Liebe Gotter erschienen und wir erkennen, dass wir selbst zu einer Liebe fähig sind, die mehr ist als nur menschliches Gefühl oder menschliche Leistung. Indem wir auf das Kind blicken, werden wir förmlich von unserer Blindheit befreit, die nur ein sehr naturalistisches Menschenbild wahrnimmt, ein eingeschränktes, ein auf Profit und Nutzen verkürztes Menschenbild. In diesem Kind werden uns die Augen geöffnet für das wahre Wesen unseres Menschseins. Der Kolosserbrief drückt das so aus: „Wenn Christus, unser Leben, offenbar wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbar werden in Herrlichkeit“.
5. „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater“. Und indem wir diese Herrlichkeit des Vaters an dem Kind erblicken, erblicken wir gleiche Herrlichkeit des Vaters an uns. Wir sind untrennbar mit Gott verbunden. Der Neue Bund in Christus. Und wir erkennen uns im Lichte dieser Würde, dass wir alle Brüder und Schwestern sind, Brüder und Schwestern Christi und untereinander. Vielleicht ahnen wir, aus welch‘ tiefem Bewusstsein Jesus sagt: „Liebt eure Feinde“. Welche Konsequenzen hätte das?! Kardinal Reinhard Marx hat dies bei der diesjährigen Verleihung des Romano-Guardini-Preises in wunderbare Worte gefasst, mit denen ich hier schließen möchte:
6. „Doch schauen wir einmal auf Notre Dame de Paris: Wir spüren, hier geschieht mehr als die Renovierung einer Kirche, die gebrannt hat. Sie ist ein Symbol für Europa, für den Westen, für unsere Kultur. Können wir den Westen verstehen ohne das Christentum? Nein sicher nicht. Ich gehe darüber hinaus. Können wir die Welt verstehen ohne die Weihnachtsgeschichte? Diese Geschichte hat die ganze Welt geprägt. Was bedeutet es, dass Gott Mensch wird, dass alle Menschen Brüder und Schwestern sind und dass jeder Mensch ein Bild des lebendigen Gottes ist, ob schwarz oder weiß, Mann oder Frau, arm oder reich, behindert oder gesund? Alle sind Bild Gottes! Hat die Kirche, haben die Christen, immer auf dem Niveau dieser Aussage gelebt? Sicher nicht! Aber es ist geschrieben, und es galt immer als Orientierungspunkt. Notre Dame ist eine Kirche, aber eben auch Ausdruck einer Zivilisation, die geprägt ist von diesem Denken. Und das ist so wichtig.“
Franz Langstein
2. Weihnachtstag (St. Stephanus)
26.12.2025
Liebe Schwestern und Brüder!
1. Wenn wir die Weihnachtsliturgien unserer Kirche betrachten, dann stellen wir doch vielleicht etwas Irritierendes fest: In der Heiligen Nacht hörten wir die schöne Weihnachtserzählung nach Lukas. Es war die Rede von einem Kind, das in Windeln gewickelt, in einer Krippe lag, von Engeln und Hirten, von Lobgesängen und Frohlocken. Doch schon gestern, am eigentlichen Weihnachtsfest, war davon keine Rede mehr. Kurz und nüchtern hieß es: „Und das Wort ist Fleisch geworden“. Und heute gar, am zweiten Weihnachtstag, ist auch davon keine Rede mehr. Heute steht eine Hinrichtung im Mittelpunkt: Nichts Weihnachtliches mehr. Keine Engel, keine Hirten, keine Krippe, sondern die Brutalität des Lebens.
2. Es erinnert mich irgendwie an Ostern. Wir feiern die Auferstehung Jesu von den Toten ja auch ohne den Ort des Todes. Das Grab. Zwar wird immer wieder berichtet, dass die Frauen und auch die Jünger zum Grab gingen, aber sie fanden da nichts. Es war leer. Es war irrelevant. Ostern ereignete sich woanders, an anderen Orten. Die Emmausjünger berichten uns von ganz anderen Erfahrungen des Auferstandenen. So scheint es mir auch mit Weihnachten zu sein. Weihnachten ohne Krippe, so wenig vorstellbar wie Ostern ohne Grab. Und doch wird uns hier wohl Entscheidendes gesagt.
3. So wie das Grab an Ostern für uns keine Rolle mehr spielt, weil Grab und Tod überwunden sind, so spielt die Krippe keine Rolle mehr, weil wir letztlich nicht ein neugeborenes Kind in der Krippe feiern, sondern die Geburt Gottes in unser Leben hinein. Die Gegenwart Gottes ist nicht mehr die Krippe, sondern unser Leben. Das ist der Lernprozess und der Wachstumsprozess des christlichen Glaubens: Äußeres, wie Krippe und Grab, sind nur ncoh Hinweise auf etwas viel Bedeutenderes: Auf die Geburt Gottes in unserem Leben und auf die Überwindung des Todes.
4. Was das heißt? Dafür haben wir heute das Beispiel des heiligen Stephanus gehört. In einer kaum für möglich gehaltenen Annahme seines Schicksals betet er noch für seine Peiniger und sieht in einer tiefen Gotteserfahrung den Himmel offen. So ist Gott hineingeboren auch in unser Leben, auch in unsere Erfahrungen von Dunkel, Angst und Tod und das sollte uns prägen.