Lk, 15,1-32
Fastenpredigtreihe zu 1700 Jahre Konzil von Nicäa - Das Credo. Hier: Ich glaube an Gott, den Vater.
30.03.2025
Liebe Schwestern und Brüder!
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn wir bei unserer Betrachtung der verschiedenen Aspekte des Glaubensbekenntnisses, deren Formulierung vor 1700 Jahren auf dem Konzil zu Nicäa begonnen wurde, heute über den Artikel „Ich glaube an Gott, den Vater“ nachdenken, dann müssen wir in der heutigen gendersensiblen Zeit einen Aspekt zuerst erwähnen, den wir vor einigen Jahrzehnten hätten übergehen können: Nämlich das Wort „Vater“. Denn sofort folgt die Frage, ob man nicht diesen Glaubensartikel mit „Mutter“ ergänzen könne: „Ich glaube an Gott, den Vater und die Mutter“. Sicherlich beinhaltet dieser Einwand ein durchaus berechtigtes Anliegen, nämlich die Mütterlichkeit Gottes, die ja auch in verschiedenen biblischen Erzählungen vorkommt. Am bekanntesten ist der Vers aus dem Buch Jesaja: „Wie einen seine Mutter tröstet, so tröste ich euch (Jes 66,13).“ Der Vers hat durch die wunderbare Vertonung durch Johannes Brahms in seinem Requiem weltweite Bekanntheit erlangt. Und sicherlich stimmt es auch, dass, wenn man die mütterliche Seite Gottes mehr betonen würde, noch ganz andere Aspekte Gottes zum Vorschein kämen. Ja, alles richtig.
Aber das ist
jetzt nicht mein Thema. Mein Thema ist ein anderes: Ob wir nun sagen Gott Vater
oder Gott Mutter oder Gott Vater und Mutter – immer handelt es sich um
Gottesbilder und Gottesvorstellungen. Und Gottesbilder haben immer etwas sehr
Problematisches und Gefährliches. Es ist ungefähr so, als wenn ein junger Mann
daherkäme, der gerade seine neue Freundin kennengelernt hat und davon
überschäumend schwärmt, dass das die absolut richtige Frau wäre, die er schon
immer geträumt habe, also seine Traumfrau. Bei einem solchen Mann steht zu
befürchten, dass er nicht die Frau liebt, sondern seinen Traum. Ja, noch
schlimmer, dass dieser Traum der Maßstab ist, die er der Frau anlegt, an dem
dann schließlich die Beziehung zerbrechen wird. So stehen auch Gottesbilder
zwischen uns und Gott. Warum: Weil ein Bild keine Wirklichkeit ist. Bild und
Wirklichkeit werden verwechselt. Wenn ich ein Gottesbild in mir trage, dann
kann ich Gott als Realität nur schwer begegnen. Konflikte mit Gott sind in
Wahrheit Konflikte mit meinem Gottesbild. Und das möchte ich jetzt mit Ihnen
einmal durchexerzieren anhand der schönen Geschichte vom „Verlorenen Sohn“. Die
Geschichte hat ja kein eigentliches Ende. Zuviel Fragen bleiben offen: Ist der
ältere Sohn ins Vaterhaus zurückgekehrt? Hat es jemals eine Aussprache gegeben
zwischen dem Vater und dem jüngeren Sohn, der weggelaufen war?
Ich habe deshalb die Geschichte mal weitergesponnen und möchte genau dort
ansetzen. Ich glaube nämlich, dass man diese Geschichte auch als Verwandlung
eines Gottesbildes lesen kann.
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Rede des jüngeren Sohnes an seinen Vater:
Nachdem der jüngere Sohn zurückgekehrt war und der Vater ein überaus großzügiges Fest veranstaltet hatte, und nachdem der ältere Bruder seinen Ärger verarbeitet hatte, also etwa eine Woche nach dem Ereignis der Rückkehr des jüngeren Sohnes, bittet dieser seinen Vater zu einem Gespräch. Der Vater führt den jüngeren Sohn in sein Zimmer und lädt ihn mit den Worten, „Mein Sohn, was hast du auf dem Herzen“, ein, das Gespräch zu beginnen.
Der jüngere Sohn beginnt mit seiner sorgfältig vorbereiteten Rede:
„Vater, ich möchte dir etwas sagen, was mich seit meiner Rückkehr bewegt. Als ich damals das Haus verlassen hatte und dich gebeten hatte, mir mein von Rechts wegen zustehendes Erbe auszuzahlen, da hast du ohne Widerrede mir das Geld gegeben und mich ziehen lassen. Wie sehr hätte ich mir gewünscht, dass du mich gefragt hättest, warum ich denn ausziehen wolle. Du hast mich einfach ziehen lassen. Vielleicht hast du die Antwort gescheut. Vielleicht ahntest du, warum ich raus wollte. Du bist immer ein gerechter Vater gewesen. Deshalb hast du mich ziehen lassen. Es war in deinen Augen gerecht. Das Erbe stand mir zu. Alles war innerhalb deiner Ordnungsvorstellungen.
Ich möchte es dir jetzt sagen, warum ich gegangen bin. Ich ging, weil du gerecht warst. Aber eben auch n u r gerecht. Du hattest deine Ordnungsprinzipien, nach Recht und Gerechtigkeit, und so hast du dein Haus geführt. Nicht nur deine Knechte und Mägde, auch uns Söhne. Hast du nicht gehört, was dein älterer Sohn zu dir sagte, nachdem ich heimgekehrt war? „Solange mache ich dir schon den Knecht, und du hast mir noch nie einen Ziegenbock geschenkt, wenn ich mit meinen Freunden feiern wollte“. Ja, so warst du. Ja, so waren deine Ordnungsprinzipien: Jeder hat seine Arbeit zu tun. Welchen Anspruch hat man darüber hinaus?
Mir waren deine Prinzipien zu eng. Dein Gerechtigkeitssinn hat mir die Luft zum Atmen genommen. Ich wollte nicht so werden wie mein Bruder: Knecht. Ich wollte hier raus. Ich wäre erstickt an deiner Vorstellung von Ordnung. Ich musste raus, um mich zu retten. Hier ist niemand wirklich frei. - Hör mir bitte zu, Vater, auch wenn ich dir jetzt viel zumute.
Also bat ich dich, mir mein Erbteil auszuzahlen. Es entspricht deinem Ordnungsdenken, dass du das getan hast. Es hätte dir nicht entsprochen, doch zumindest einmal nachzufragen, warum ich gehen wollte. Du scheutest tiefere Beziehungsfragen.
So ging ich. Ich wollte frei sein. Ich suchte meine Freiheit. Du weißt, Vater, - es ging schief. Wie sollte es auch anders sein. Wie hätte ich draußen in der fremden Welt meine Freiheit leben können, wenn ich sie hier bei dir zu Hause nie leben durfte? Wie sollte ich Freiheit leben können, die ich bei dir nicht erfahren durfte. Wir hatten deinem Willen und deinen Vorstellungen zu gehorchen.
Es musste schief gehen. Nun bin ich wieder hier. Ich muss dir sagen: Ich hatte lange vor, nie wieder nach Hause zu kommen. Selbst wenn ich ganz unten angekommen bin. Lieber frei in der Gosse als unfrei bei dir. Ja, verzeih bitte, Vater, so dachte ich. Aber als ich bei den Schweinen saß und kaum etwas zu essen hatte, da konnte ich nicht anders. Ich war gezwungen, zurückzukehren. Ich kam nicht freiwillig.
Aber wie konnte ich so zu dir zurückkehren, zu den so gerechten und vorbildlichen Mann? Ich war ein Nichts gegen dich. Wie würdest du mich aufnehmen? Ja, würdest du mich überhaupt aufnehmen? Ich dachte mir: Wenn ich zu dir heimkehre, dann wirst du auf jeden Fall ein Schuldeingeständnis von mir erwarten. Also überlegte ich mir ein Schuldbekenntnis. Drei Sätze lernte ich auswendig. Der erste Satz: Vater, ich habe vor dir und dem Himmel gesündigt. Der zweite Satz: Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen. Der dritte Satz: Mach mich zu einem deiner Knechte. So ging ich los. Immer wieder diese Sätze aufsagend, damit ich sie nicht stotternd, sondern klar dir vortragen werde.
Von Weitem ging ich auf das Haus zu, auf meine Heimat, die nie meine Heimat war. Du liefst mir schon entgegen. Ich wollte zurückweichen. Doch dann fielst du mir um den Hals. Ich sagte schnell mein Schuldbekenntnis auf: Erster Satz: Vater, ich habe vor dir und dem Himmel gesündigt. Zweiter Satz: Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein. Dritter Satz: nein. Ich kam nicht mehr dazu. Du hast mich unterbrochen und gesagt: Holt schnell die feinsten Kleider und Schuhe herbei. Ich war ganz irritiert: Du hattest mein Schuldbekenntnis gar nicht gehört. Du wolltest es gar nicht hören. Du wolltest mich nicht beschämen. Wie du das früher sooft mit uns getan hast. Stattdessen: Ein großes Fest, voll Freude, voll Liebe und Güte. Du hast mir nicht einmal einen Vorwurf gemacht. Du hast nicht einmal gefragt, wo mein Geld sei. Es war in deinem Haus plötzlich alles anders.
Und das, Vater, wollte ich dir sagen: Du hast dich geändert. Du hast dich völlig verändert. Und jetzt frage ich mich und dich: Könnte meine Abwesenheit die Ursache für deine Veränderung sein? Könnte meine Abwesenheit dich gefragt haben lassen: Was habe ich als Vater falsch gemacht, dass mein jüngerer, so freiheitsliebender Sohn, hier kein Platz hatte?
Ich suchte für mich, als ich weglief, eine Rettung aus der Enge dieses Hauses. Sollte nun mein Weglaufen dich gerettet haben? Sollte meine Abwesenheit dir die Enge deiner Ordnungsprinzipien bewusst gemacht haben und solltest du entdeckt haben, dass es neben der Gerechtigkeit auch die Güte und Liebe und Barmherzigkeit und die Vergebung gibt? Habe ich dich, Vater, gerettet? Habe ich dein Herz verändert?
Und, Vater, könnte es nicht sein, dass du nicht nur deshalb so ein großes Fest gefeiert hast, weil du mich wiederhast, sondern auch deshalb, weil du Schuldgefühle hattest darüber, dass ich weglief. Und nun haben sich deine Gefühle, du könntest daran schuld sein, wenn mir etwas zustoßen würde, nicht bewahrheitet? Meine Heimkehr hat dich von deinen Schuldgefühlen erlöst? Hast du also auch deshalb für dich dieses Fest gefeiert? Habe ich dich aus deinen Schuldgefühlen befreit?
Jedenfalls, Vater, du hast dich verändert. Jetzt ist auch dieses Haus wieder eine Heimat für mich. Ich weiß mich tief geliebt von Dir, Vater.
Weißt du noch, Vater? Nach meiner Heimkehr feierten wir ein großes Fest. Mein älterer Bruder kam vom Feld und wollte nicht ins Haus gehen. Er beschwerte sich darüber, dass du so überaus großzügig mich aufgenommen hast. Weißt Du noch, was du zu ihm gesagt hast? Du sagtest zu ihm: „Aber mein Kind, alles was mein ist, ist doch auch dein?“ – So einen Satz haben wir von dir, Vater, vor meinem Weggang nie gehört. Wir dachten immer, wir müssten uns deine Liebe und Güte verdienen. Und jetzt sagst du: Alles was mein ist, ist doch auch dein. So sehr, Vater, hast du dich verändert. Ich wollte mit meiner Flucht aus diesem Haus mich retten. Nun habe ich dich gerettet. Hat vielleicht so mein Weglaufen dann doch einen Sinn gehabt?“
Die Frage stand im Raum. Es war still. Der Sohn schaute den Vater an und suchte in seinen Augen eine Antwort. Dann atmete der Vater tief durch. Er, der die ganze Zeit mit seinen Tränen zu kämpfen hatte, sagte mit gebrochener Stimme: „Mein Sohn, wie recht du doch hast“.
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Gottesbilder: Ein strenges Gottesbild ist zerbrochen zum Heil aller, auch zum Heil Gottes.
Ja, auch zum Heil Gottes. Mal rein menschlich gedacht: Gott musste nicht barmherzig sein, solange es den Menschen als freies und somit schuldig werdendes Lebewesen gab. Als der Mensch auftauchte, musste Gott lernen, was Barmherzigkeit heißt. Wir haben – wie der jüngere Sohn in meiner Geschichte – Gott gerettet.
Auch wir müssen Gott retten aus den Klauen derer, die mit Gott im Mund Menschen schaden. Ich glaube, dass man diese Geschichte auch als Erzählung eines die Seele kaputtmachendes Gottesbildes, das zerbrochen ist, lesen kann. Sie ist ja genau an die gerichtet, die so strenge Gottesbilder hatten: Die Pharisäer.
Es ist also egal, ob Vater oder Mutter, es kommt allein darauf an, dass wir hinter den Gottesbildern die Realität Gottes immer tiefer erkennen. Da kann es manchmal sein, dass Gottesbilder weggeräumt werden müssen. Nun steht freilich hier: „Ich glaube an Gott, den Vater“. Aber dies ist ja weniger einem Gottesbild geschuldet als vielmehr der Struktur des Glaubensbekenntnisses. Dieses ist ja dreifaltig strukturiert. „Ich glaube an Gott, den Vater…. Und an den Sohn Jesus Christus. … Ich glaube an den Heiligen Geist.“
Aber es bleibt dabei, was das Vierte Laterankonzil sehr klar gesagt hat: All unsere Vorstellungen und Bilder von Gott sind Gott viel unähnlicher als ihm ähnlich. Deshalb müssen wir immer die Bilder abstrahieren. Gott ist nicht Vater, nicht Sohn und nicht Geist: Es sind nur Bilder, nur Worte. Entscheidend ist die hinter den Bildern verborgene Wahrheit Gottes, aus der wir leben.
Wie sähe wohl ein bilderloses Credo aus?
Franz Langstein