Pfarrer Manuel Stickel

Pfarrer Manuel Stickel wurde 1981 in Wolfhagen geboren und wuchs in Naumburg auf. Auf der Ursulinenschule Fritzlar machte er im Jahr 2000 sein Abitur und nahm im Anschluss daran das Studium der Theologie und Philosophie in Fulda auf. Nach zwei Außensemestern in Passau schloss er zunächst seine kirchenmusikalische Ausbildung mit der C-Prüfung ab und erwarb in 2006 das theologische Diplom.

Nach einem Jahr Diakonat in Eichenzell wurde er zunächst Kaplan in Hofgeismar und ab 2009 Kaplan in Bad Orb. 2012 übernahm er die Stelle des Pfarrers in Großauheim, die er bis zur Neugründung der Pfarrei St. Klara und Franziskus innehatte. Nach einer kurzen Zeit als mitarbeitender Priester in dieser Pfarrei ist er seit 2021 Pfarradministrator in St. Klara und Franziskus. Sein größtes Hobby ist die Kirchenmusik. Gern greift er vor den Gottesdiensten in die Orgeltasten oder singt hier und da in Projektchören mit.

„Eine alte Frau beobachtete mich einmal in der Kirche vor der Marienfigur. Ich war noch Grundschüler und hatte beobachtet, dass dort immer wieder Menschen verweilten. Schließlich sprach sie mich an und sagte: Zu ihr kannst du immer kommen. Sie hilft immer! Das Vertrauen dieser Frau hat mich tief berührt und die Sehnsucht verstärkt, die ich damals schon spürte und die mich als Glaube durch das Leben trägt.“

Manuel Stickel
Manuel Stickel

Josef - Fluch(t) und Segen eine Predigt von Pfarrer Manuel Stickel

Josef gehört für mich zu den Heiligen, von denen ich eine recht konkrete Vorstellung habe. Sie ist geprägt durch Bilder und Figuren, die ich in meiner Kindheit gesehen habe. Josef, ein stattlicher Mann, der sich wohl gern im Hintergrund aufhält, sich aber stets schützend vor die Heilige Familie stellt. Mal trägt er das Jesuskind auf dem Arm und hält eine Lilie in der anderen, mal steht er an der Krippe und beleuchtet die trostlose, einer Geburt unwürdige Szene mit einem kleinen und warmen Licht und gibt so ein Zeugnis von jenem Licht, dass er tief im Herzen trägt.

Mit dem biblischen Josef haben diese romantisierten Darstellungen freilich nicht viel zu tun. Vor allem der Evangelist Matthäus stellt uns einen Josef vor, der alles andere ist als stark und liebevoll. Matthäus nimmt uns in die Kindheitsgeschichte Jesu hinein an einem Punkt, wo die Lebens- und Liebesgeschichte Josefs und Marias sich entscheidend verändert. Die Einheitsübersetzung erklärt uns, dass es sich bereits zeigte, dass Maria ein Kind erwartete (Mt 1, 18). Uns wird dieses Geschehen gedeutet als Wirken des Heiligen Geistes. Wie mag das aber auf Josef gewirkt haben? Hat Maria mit ihm gesprochen über das, was da in ihr vor sich geht? Der Evangelist lässt diese Option offen. Was er uns aber erzählt, ist, dass Josef mit der Situation gründlich überfordert ist. Wahrscheinlich sind ihm die unterschiedlichsten Gedanken durch den Kopf gegangen. Wer ist der Vater? Liebt Maria mich wirklich? Wie kann unser Leben jetzt weitergehen? Einfach verzeihen? Eine Auszeit nehmen? Beziehung beenden? Was werden die Leute über uns sagen? Wie stehe ich jetzt vor Gott da? Josef wirkt auf mich verzweifelt, beschämt, verunsichert, vielleicht auch wütend. Seine Lösung: Abhauen. Bei Nacht und Nebel. Er will nichts damit zu tun haben.

An dieser Stelle wird mir mancher Bibelwissenschaftler entgegenhalten, dass der Impuls, dem Josef zunächst folgen will, nicht unbedingt eine Flucht vor Verantwortung sein muss, sondern möglicherweise gerade das Gegenteil darstellt. Denn mit seiner Flucht ändert er zumindest gesellschaftlich das Schicksal von Mutter und Kind: Nunmehr sind sie nicht mehr die Ehebrecherin und ihr uneheliches Kind, sondern vielmehr die vom Ehemann sitzengelassene Kleinfamilie. Maria muss als vermeintliche Sünderin nicht um ihr Leben bangen: Durch seine Flucht wählt der „Gerechte“ den Weg der Barmherzigkeit, nimmt in Stille die Schuld auf sich und gewährt Maria einen Neustart. Was bleibt ist die Frage, wie diese drei nun vor Gott dastehen.

Doch hierauf gibt Gott selbst die Antwort. Des Nachts im Traum erscheint Josef ein Engel und lässt ihn ein erstes Mal teilhaben an Gottes Plan. Der Bote Gottes macht Josef Mut, bei Frau und Kind zu bleiben. Scheinbar braucht es die Erfahrung der Nacht, damit Josef die Stimme Gottes vernimmt. Sie ist die Zeit, in der all die verwirrenden Stimmen des Tages verstummen: die Erwartungen, die Menschen an ihn haben, die Pläne, die er zu verwirklichen suchte, die Eitelkeit, die ihn antreibt, bestimmte Rollen zu spielen und in einem bestimmten Lichte zu erscheinen. Im Judentum ist die Nacht die beste Zeit für das Thorastudium. In der Nacht führte Gott das Volk Israel aus der Sklaverei Ägyptens heraus und zeigte sich als der nahe Gott, der sich mit den Seinen auf den Weg macht. In dieser Tradition ist auch für uns Christen die Nacht eine heilige Zeit: In der Weih-Nacht macht Gott sich auf den Weg zu den Menschen und wird sichtbar Teil ihrer Welt, in der Oster-Nacht wird der Menschensohn aus dem Tode auferstehen, um den Menschen nun die Welt Gottes wieder neu und endgültig zu erschließen.

Im Grunde finde ich es nicht so entscheidend, ob Josef aus Verantwortungsbewusstsein oder doch aus Verzweiflung, Angst oder Scham die Flucht ergreifen wollte. Dass ein Bleiben möglich war, zeigt ja doch die Geschichte, nachdem Gott sich eingeschaltet hat. Viel entscheidender ist, dass Josef sich auf Gottes Intervention eingelassen hat und bei Frau und Kind geblieben ist. Und auch auf den zweiten Besuch des Engels lässt Josef sich ein und reagiert mit nahezu blindem Gehorsam: Weil Herodes dem Kind nach dem Leben trachtet, nimmt er seine Familie und flieht nach Ägypten. Nachdem Herodes dann gestorben ist, kommt der Engel ein drittes Mal zu Josef und berichtet ihm, er könne nun wieder zurückgehen, weil Herodes tot sei. Doch an dieser Stelle merkt man, dass sich bei Josef etwas verändert hat. Die Erfahrung der Flucht nach Ägypten scheint auch seinen Glauben verändert zu haben. Plötzlich gehorcht er nicht mehr blind dem Anruf Gottes. Auf dem Weg erkennt er, dass von Herodes´ Sohn Archelaus immer noch Gefahr ausgeht. In dieser Nacht nun erhält er den Befehl, nach Galiläa zu gehen. Den Engel scheint er an dieser Stelle nicht mehr als Übersetzer zu brauchen. Josef hat gelernt, seine Lebenssicht mit der Sicht Gottes zusammenzubringen. Sein Glaube ist erwachsen geworden. In Galiläa angekommen wird es still um Josef. Natürlich geht es dem Evangelisten jetzt um seinen Protagonisten Jesus. Vielleicht ist es aber auch der Tatsache geschuldet, dass wir über Josef ja nun das Entscheidende erfahren haben und er sich vielleicht auch ein Stück in den Alltag geflüchtet hat.

Der Evangelist Matthäus verfolgt mit seiner Kindheitsgeschichte ein bestimmtes Ziel. Er will einen Anschluss herstellen zur Heilsgeschichte, die Gott im Alten Testament mit dem Volk Israel geschrieben hat. Der Kindermord, den Matthäus aus der Mose-Erzählung aufgreift und auf die Kindheit Jesu überträgt, ist historisch sehr umstritten und dient vermutlich als Brücke zum Alten Testament. Auch die Verortung des Exils in Ägypten betont diese Absicht. Denn wie Mose das Volk Gottes aus der Knechtschaft des Pharao in Ägypten geführt hat, so wird auch Josef seine Familie aus Ägypten führen. Ja, richtig: Josef führt in Analogie zu Mose aus Ägypten. Und wie im Alten Testament Mose die Landnahme nicht miterlebt hat, so wird auch Josef die Errettung aus der Knechtschaft der Sünde und des Todes nicht erleben. Im Alten Bund war es Josua (ישוע), der das Gottesvolk in das Land der Verheißung führt. Welch wunderbare Fügung, dass der Messias des Neuen Testamentes, der durch seinen Tod und sein Auferstehen seinem Volk Anteil gibt am Land der Verheißung, denselben Namen trägt: Jesus (ישוע).

Was Josef in dieser kurzen Episode auszeichnet, ist seine Fähigkeit, nicht immer gleich den ersten Impulsen zu folgen, sondern sich zu besinnen. Er gönnt es sich, einmal drüber zu schlafen und nicht nur nach eigenen Erfahrungen zu bewerten, sondern die Erfahrung Gottes, wie sie in der Schrift zu finden ist, in seine Bewertung und Lebensplanung zu integrieren. Vielleicht ist das etwas, was wir uns von ihm abschauen dürfen. Denn ich beobachte, dass die Fähigkeit, Dinge nicht nur oberflächlich wahrzunehmen, sondern ihnen auf den Grund zu gehen, zusehends schwindet angesichts immer schnellerer Entwicklungen und weitreichenderer Möglichkeiten. Oft bleibt kaum Zeit, richtig zuzuhören oder Dinge nach-zu-denken. Oft geht man mit vorgefertigten Denkmustern in ein Gespräch und findet sich nach ersten Sätzen in einer Abwehr- oder Fluchthaltung wieder. Könnte das ein Hinweis darauf sein, dass vielen Menschen ein sicherer Stand fehlt? Ein Fundament, auf das sich Leben und eine Lebenshaltung gründet und das hilft, auch ernsthafte Anfragen zuzulassen? Bei aller Verzweiflung, Wut und Ausweglosigkeit hat Josef sich offenbar sein Fundament bewahrt: den Glauben an einen Gott, der auf krummen Zeilen gerade schreiben kann und der sich selbst festnageln lässt auf seine Zusage zu den Menschen.
In der Betrachtung des Heiligen können uns einige Fragen vielleicht zum Nachdenken anregen:

Josef flieht vor Verantwortung oder in Verantwortung:
Wo flüchte ich mich gern in kurzfristige Lösungen, Was habe ich nach einem kurzen Versuch sofort abgebrochen? Wozu fehlt mir das Selbstvertrauen? Wo erlebe ich mich als unentbehrlich? Wo habe ich so viele Zügel in der Hand, dass sie mich zu zerreißen drohen? Welche gebe ich ab?

Josef flieht vor Fremdbestimmung:
In welchen Zusammenhängen entdecke ich den Eigenbrötler in mir, der nur tut was er für gut und richtig hält, ohne Rücksicht auf andere? Wo suche ich mir gern Gleichgesinnte? Welche Verletzung oder mangelnde Ehrerbietung lassen mich in Unzufriedenheit und Zorn passiv oder aggressiv werden?

Josef flieht in den Alltag:
Welches Ziel habe ich mir gesetzt? Oder lebe ich einfach in den Tag hinein und bin abends froh, wenn er ohne größere Komplikationen vergangen ist? Wo stürze ich mich in die Tätigkeit, um mich nicht mit meinen Gefühlen oder Problemen auseinandersetzen zu müssen? Was gibt meinem Leben Sinn?

Flucht und Segen:
Wann stelle ich mich unter Gottes Segen? Wie regelmäßig ist mein Gebet? Kann ich mit Gott auch frei von vorformulierten Texten sprechen? Wann gebe ich ihm Raum, zu antworten? Bin ich bereit, meine Wege zu verlassen und mich auf seine einzulassen? Wer gehört zu meinen Weggefährten? Wen hätte ich gern dabei? Wie komme ich mit ihnen in den Austausch? Auf welches Kreuz in meinem Leben kann ich Jesus festnageln, damit er es tragen und überwinden hilft?