25. Mai 2023
Kennen Sie das Gefühl, wenn sie etwas hören und dies bewirkt, dass sie einen dicken Hals bekommen? Erfahren Sie hier, wie sie dieses Gefühl gewinnbringend für ihre Zusammenarbeit umsetzen.
Vielleicht kennen Sie dieses Szenario: Sie treten mit einer Idee an den Pfarrgemeinderat, Ihren Arbeitskreis oder Ihr Gremium heran. Etwas Neues, das die Menschen ihrer Gemeinde garantiert aktivieren würde. Ein verändertes Gottesdienstformat zum Beispiel, eine moderne Musikgestaltung mit Schlagzeug und E-Gitarre oder einfach eine Umnutzung der vorhandenen Räumlichkeiten. Aber anstatt Begeisterung zu ernten, blicken Sie in stirnrunzelnde Gesichter und stoßen auf Ablehnung.
„Das geht doch nicht“, „Das haben wir noch nie so gemacht“, „Da werden viele was dagegen haben“, lauten die üblichen Sätze, die aus vielen Mündern strömen. Veränderungen, egal wie sinnvoll oder vorteilhaft sie auch sein mögen, kommen im ersten Moment fast nie gut an.
Warum diese Reaktion typisch menschlich ist und wie Sie sich die dieser Verweigerungshaltung innewohnende Kraft dennoch zunutze machen könne, erläutern Ihnen die folgenden Zeilen.
Was wir in unserer Einleitung beschrieben haben, kennt die Psychologie als Phänomen der Reaktanz, auch Blindwiderstand genannt: Menschen reagieren unbewusst mit Gegenwehr, wenn Sie das Gefühl haben, ihnen würde etwas weggenommen oder sie würden in ihrer Freiheit eingeschränkt.
Sollten Sie Physik studiert haben: Ja, der Ausdruck ist geklaut. Für alle Nicht-Physiker:innen eine kurze Erklärung: Unter Reaktanz versteht die Elektrotechnik einen Widerstand, der durch eine sich ändernde Größe, etwa eine Wechselspannung, entsteht. Das perfekte Lehnwort also. Etwas ändert sich im Leben, der Mensch reagiert mit Widerstand.
Wie urtümlich dieses Verhalten ist, zeigt bereits ein kurzer Blick in unsere Kindheit: Vermutlich haben Sie selbst irgendwann einmal den Satz gehört: „Cola/Kaffee/Alkohol ist noch nichts für dich!“ Ihre Reaktion auf dieses Verbot – so sinnvoll es tatsächlich war – bestand vermutlich nicht in stillschweigender Akzeptanz. Vielmehr werden Sie ihr Möglichstes getan haben, trotzdem einen Schluck des verbotenen Getränkes zu probieren – nur, um für die nächsten Jahre die Finger davon zu lassen.
Oder denken Sie an den realen Irrsinn im Jahr 2020: Als sich irgendwo am Horizont auch nur die vage Möglichkeit abzeichnete, dass uns das Toilettenpapier ausgehen könnte, bestand die Reaktion einiger Mitmenschen darin, sich einen Kleintransporter zu mieten und achtlagiges Kuschelweich für ein ganzes Bataillon einzubunkern. Wahrscheinlich zehren sie jetzt noch von ihren Vorräten.
Diesen Darstellungen folgend, hat Reaktanz seine Anwendung bislang vor allem in der Pädagogik und im Marketing (Stichwort: künstliche Verknappung) gefunden. Allerdings handelt es sich auch bei der eingangs beschriebenen Reaktion in Gemeinderat und Co. um nichts Anderes als Reaktanz: Jede noch so sinnvolle Veränderung wird zunächst immer als Eingriff in die persönliche Freiheit aufgefasst und mit Ablehnung und passivem bis aktivem Widerstand quittiert.
Unsere zwei Beispiele offenbaren aber auch, dass Blindwiderstand mit großem Potenzial verbunden ist: Um den Status Quo zu erhalten oder sich über die empfundene Einschränkung hinwegzusetzen, sind Menschen bereit, jede Menge Energie zu investieren. Wenn es gelingt, diese Energie in positive Bahnen zu kanalisieren, kann aus Reaktanz schnell die Bereitschaft werden, sich mit ganzer Kraft hinter die Veränderung zu stellen. Aber wie kann das gelingen?
Zunächst, indem wir eine grundsätzliche Spielregel aufstellen: Die Veränderung darf durchaus disruptiv sein und für ein wenig Unruhe sorgen, muss aber grundsätzlich positive Auswirkungen in sich tragen.
Denn handeln Sie aus nachvollziehbaren und sinnvollen Motiven, haben Sie gute Karten: Rein rational weiß Ihr Gegenüber eigentlich, dass die geplante Veränderung eine gute Sache ist. Der Wille, Neues zu wagen, ist vorhanden, wird allerdings durch Reaktanz überlagert. Denn die ist, wie gesagt, ein Urinstinkt.
Um das vorhandene Potenzial zu nutzen und die aus dem Blindwiderstand resultierende Energie mitzunehmen, sollten Sie nun allerdings nicht geschäftsmäßig mit dem Fuß aufstampfen und Ihren Plan eisern durchboxen. So produzieren Sie nur Trotz, den nervigen kleinen Bruder der Reaktanz.
Stattdessen gilt es, Überzeugungsarbeit zu leisten, Bedenken abzubauen und Ihr Gegenüber mitzunehmen. Und das ist leichter, als es sich anhört.
Oft reichen vier kleine Schlüsselsätze:
Erklären Sie nicht Ihre eigene Position, sondern fordern Sie den anderen auf, seine Gedanken und Ideen beizutragen. Das wirkt nicht nur entwaffnend, sondern schafft auch ein Gefühl der Partizipation. Wer an einer neuen Idee beteiligt ist, steht ihr garantiert nicht ablehnend gegenüber.
Ähnlich wie bei Satz #1 beziehen Sie die andere Person in den Entscheidungsfindungsprozess mit ein. Allerdings wird durch diese Frage insbesondere eine Selbstreflexion angestoßen: Wer sich bewusst mit den Vor- und Nachteilen einer Idee auseinandersetzt, findet sie am Ende häufig gar nicht mehr so schlecht.
Gehen Sie als nächstes ganz direkt auf alle vorgebrachten Contra-Punkte ein und versprechen Sie, selbige abzustellen. Selbst wenn sie nach Lappalien klingen, für Ihr Gegenüber haben sie großes Gewicht. Ganz entscheidend dabei: Keine Lippenbekenntnisse abgeben, sondern handeln! Sonst ist Ihr guter Ruf schnell ruiniert.
Oft wirkt allein schon das Zeigen von Verständnis und Interesse reaktanzmindernd. Ihr Gegenüber konnte Dampf ablassen und so ein paar Stresshormone abbauen. Nach so einem kleinen Gefühlsausbruch und Ihrer besonnenen Reaktion setzt dann meist die Ratio ein. Aus Reaktanz wird eine bewusste Auseinandersetzung mit der Idee und abschließend Akzeptanz.
Als letzte, wichtige Tipps:
Suchen Sie möglichst immer das Einzelgespräch. Gruppen haben ihre ganz eigene Dynamik, denn hier prallen schnell Fronten und Meinungen aufeinander. Die besten Resultate erzielen Sie weiterhin in einer entspannten Atmosphäre. Das vertraute Gespräch bei einer gemeinsamen Tasse Kaffee ist der großen Runde also auf jeden Fall vorzuziehen, um die Wogen bereits im Vorfeld deutlich zu glätten.
Lese- und Angebotstipps:
Noch mehr zur Reaktanz und wertvollem Führen
Da Sie nun um das Phänomen der Reaktanz wissen, können Sie zukünftig adäquat darauf reagieren. Vier einfache Sätze bauen Widerstände ab, kanalisieren vorhandene Energie um und sorgen langfristig für eine bessere Gemeinschaft.
Wenn Sie noch mehr zum Thema Reaktanz erfahren möchten, empfehlen wir ihnen das Buch Reaktanz – Blindwiderstand erkennen und umnutzen von Carmen Thomas, erschienen bei adeo. Ansonsten laden wir Sie herzlich zum großen Angebot der pastoralen Innovation im Bistum Fulda. Reinschauen lohnt sich.
Wir freuen uns auf Sie.
Text: Florian Stary, Torsten Huith
Redaktion: Paul Kowalski
Bilder: Unsplash.com/Adeo-Verlag
Berater der Strategischen Initiative Pastorale Innovation
xpand Stiftung