01. Feb 2023
Die Gute Stube in Marburg, ein innovatives Projekt das Nachahmung sucht und aufzeigt, dass es hierfür nicht viel braucht!
Sebastian Bleek hat in seiner Ausbildung zum Pastoralreferenten ein ökumenisches Sozialprojekt mit vielen Partner den Start gebracht und durchgeführt.
Hier berichtet er darüber wie die "Gute Stube" in Marburg in einer Zeit voll Nöten und Sorgen entstanden ist und für viele Menschen einen Anlaufpunkt bietet.
Die Ausgangslage: Inflation und Energiekrise – wir wollen aktiv werden
Das zweite Halbjahr 2022 ist geprägt von politischen und gesellschaftlichen Diskussionen rund um Inflation, steigende Lebensmittelpreise und Energiekrise; mehr und mehr Menschen unterschiedlichster Milieus wissen nicht, wie sie ihren Lebensunterhalt finanzieren und ihren Alltag bewältigen können. Es besteht der Wunsch, diesen Bedürfnissen zu begegnen und schon vor einem Katastrophenfall eines Blackouts niedrigschwellig und ohne großen bürokratischen Aufwand punktuell Hilfe zu leisten; sowohl bei Hauptamtlichen als auch bei vielen Ehrenamtlichen (nicht nur im kirchlichen Kontext), mit denen die unterschiedlichen Seelsorgenden im Kontakt sind. Zugleich wissen viele nicht, wo sie sich gut einbringen können. Es soll ein diakonisches Angebot geschaffen werden, das viele Menschen erreichen und eine Vermischung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen bewirken kann. Verschiedene Gespräche führten zu ersten Überlegungen zur Einrichtung einer Wärmestube, wobei auf eine Ökumenische Vernetzung gesetzt wurde. Aufgrund der Verortung der in an ersten Überlegungen beteiligten Einrichtungen wurde die Innenstadt Marburgs für das Projekt als Sozialraum 14 in den Blick genommen, die sich im Wesentlichen vom Marburger Bahnhof über die Elisabethkirche und die Oberstadt bis zur Schwanenallee erstreckt.
Foto: Sebastian Bleek (links) mit engagierten haupt- und ehrenamtlichen Unterstützern der Guten Stube im Philippshaus
Drei Säulen: Aufwärmen – Auftischen – Austauschen
Die Idee ist bestechend einfach: Ein Raum wird beheizt und als Ort der Begegnung für alle Menschen geöffnet. Dort wird kostenlos ein warmes Mittagessen ausgeteilt sowie Kaffee, Tee und Wasser bereitgestellt. Ebenso besteht die Möglichkeit, mit anderen Gästen ins Gespräch zu kommen. Es entsteht ein Ort, um sich aufzuwärmen, ein Ort, um satt zu werden, ein Ort, um Gemeinschaft zu erfahren. All das verbindet man mit dem Begriff einer „guten Stube“ – und genau diesen Namen haben wir unserem Angebot gegeben. Sie ist vom 1. Dezember 2022 bis 28. Februar 2023 (außer 26.-30.12.22) montags bis freitags jeweils von 11-15 Uhr geöffnet.
Bei der Wahl des Ortes für die „Gute Stube“ sind mehrere Faktoren zu beachten: Einerseits sollte er im Marburger Kernstadtgebiet liegen, andererseits für möglichst viele verschiedene Menschen (=potenzielle Zielgruppe) gut zu erreichen sein und mit möglichst wenigen personellen Ressourcen bewirtschaftet werden können. Der Ort muss im Stadtzentrum liegen, um leicht erreichbar zu sein. Wir wählen das Evangelische Philippshaus, das zur evangelischen Universitätskirchengemeinde gehört; im Erdgeschoss befindet sich eine Kapelle, die jedoch kaum genutzt wird und für das Projekt umgestaltet werden konnte. Das Philippshaus befindet sich direkt an einer Bushaltestelle unweit des Kaufhaus Ahrens und des belebten Stadtzentrums. Täglich kommen viele Menschen zufällig am Philipphaus vorbei, wenn sie in der Universitätsstraße unterwegs sind, die eine Hauptverkehrsachse durch die Marburger Kernstadt bildet.
Aufgrund der Hygieneauflagen haben wir uns dafür entschieden, dass warme Mittagessen extern kochen zu lassen und abzuholen. Aus mehreren Angeboten entscheiden wir uns für die JUKO, die Jugendkonflikthilfe, die als sozialer Träger mehrere Standorte (u.a. Gastronomie) in Marburg hat.
Die „Gute Stube“ öffnet – und wird angenommen
Waren es zu Beginn rund 35 Personen, die den Weg ins Marburger Philippshaus gefunden haben, werden inzwischen täglich 45 bis 60 Gäste in der „Guten Stube“ bewirtet; die „Rushhour“ ist zwischen 12 und 13 Uhr während der Mittagessenszeit. Manche bleiben nur zum Essen, andere nutzen den Raum, um sich vier Stunden lang aufhalten zu können, kurz einen Kaffee zu trinken oder in Kontakt mit anderen Menschen zu kommen. Zahlreiche „Stammgäste“ sind zu verzeichnen, es finden jedoch auch immer wieder neue Gäste ins Philippshaus. Es kommen sehr unterschiedliche Personen (z.B. Senior:innen, Studierende, Wohnungslose, Menschen, die einsam sind oder Personen auf dem Heimweg). Die Mischung der Gäste bietet die Chance, dass sich Menschen begegnen, die sich sonst nie kennengelernt hätten. Man schaut „über den eigenen Tellerrand“, knüpft Kontakte, teilt Leben miteinander. Die Menschen freuen sich neben dem Essensangebot auch darüber, Gesprächspartner zu haben und mit anderen Gästen oder dem Gute Stube-Team in den Austausch zu kommen, auch das seelsorgliche Einzelgespräch wird explizit nachgefragt. Zahlreiche Ehrenamtliche brachten und bringen sich gerne ein; einige Anfragen erreichten das Organisationsteam, ob und wann man denn in der Guten Stube einen Dienst übernehmen könne. Diejenigen, die sich beteiligen, machen gute Erfahrungen; neben dem Gefühl, niedrigschwellig Hilfe zu leisten wird auch wertgeschätzt, Zeit für Gespräche und die Begegnung mit den Gästen.
Beteiligung ermöglichen
Die „Gute Stube“ wird getragen von den evangelischen und katholischen Innenstadtgemeinden in Marburg, der katholischen Citypastoral, dem Verein fairdirect e.V. sowie dem Caritasverband und dem Diakonischen Werk. Zum Stemmen des Projekts wurden und werden zahlreiche ehrenamtlich benötigt; auf der anderen Seite ist zu vermuten, dass die Bereitschaft sich caritativ einzubringen auch außerhalb des Gemeindekontextes gegeben ist. Somit sind zur Gewinnung von Ehrenamtlichen verschiedene Kanäle zu wählen, um möglichst viele Menschen für das Projekt zu begeistern und ihnen eine Mitarbeit zu ermöglichen. Zur Öffentlichkeitsarbeit wurden neben Plakaten, einem Aufsteller sowie den Kirchenmedien und Schaukästen verschiedene Kanäle der sozialen Netzwerke und ebay Kleinanzeigen genutzt und einige Interviews für die regionale Presse sowie den Hörfunk und das Fernsehen gegeben.
Die Koordination der Ehrenamtlichen stellt dabei eine besondere Herausforderung dar; im Evangelischen Kirchenkreis Marburg wurde für das Freiwilligenmanagement eine eigene Stelle dafür geschaffen, die in das Projekt stark involviert ist und dadurch viel koordinativen Aufwand übernimmt.
Im Dezember 2022 wurde die Verantwortlichkeit für den Ablauf in der „Guten Stube“ aufgrund der Kürze der Vorbereitungszeit unter den Hauptamtlichen aufgeteilt, die jeweils ein Team von vier bis fünf Ehrenamtlichen gestellt haben. Gearbeitet wird in zwei Schichten: von 10:30 Uhr bis 13 Uhr und von 13 Uhr bis 15:30 Uhr, wobei die Vormittagsschicht den Raum vorbereitet und Getränke bereitstellt und die Nachmittagsschicht vorwiegend das Spülen des anfallenden Geschirrs übernimmt. Ab 12 Uhr wird das Mittagessen angeliefert und ausgegeben. Es besteht zwischenzeitlich aber immer die Möglichkeit, sich auch selbst mit Essen oder einer Tasse Kaffee an einen der Tische zu setzen und mit den Gästen ins Gespräch zu kommen.
Seit Januar bilden sich die „Gute Stube-Teams“ einrichtungs- und gemeindeübergreifend: Mittels eines digitalen Kalenders können sich Ehrenamtliche selbst für Dienste eintragen oder sich über die Freiwilligenagentur oder per Mail beim Projektteam melden. Daneben wird in den Teams aus dem Dezember sowie im Gemeindekontext geworben, sodass eine vielfältige Mischung unterschiedlicher Ehrenamtlicher entsteht. Weiterhin ist eine Person mit Hygieneschulung (meist hauptamtlich) vor Ort; insgesamt sind derzeit ca. 12 Hauptamtliche und rund 50 Ehrenamtliche in der „Guten Stube“ aktiv (gewesen). Die Veränderung der Teamzusammensetzung wurde gewählt, da immer wieder Personen und Personengruppen auf das Projektteam zugekommen sind und mitarbeiten möchten. Außerdem wurde es als gewinnbringend erachtet, dass sich die Ehrenamtlichen unterschiedlicher Gemeinden und Einrichtungen miteinander vernetzen können. Diese Offenheit für gemischte Teamkonstellationen schließt jedoch nicht aus, dass man sich auch als Gemeindeteam an einem Termin eintragen und engagieren kann.
FAZIT: Dass das Projekt von Anfang an ein Erfolg ist, wird u.a. an folgenden Faktoren liegen, die auch für die Entwicklung anderer Projektideen bedeutsam sein können:
a) Alle wollen
Der Wunsch, ein caritatives Projekt auf die Beine zu stellen, war den hauptamtlich Aktiven ein gemeinsames Anliegen. Auch viele Ehrenamtliche waren aufgrund der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation besonders motiviert, sich diakonisch einzubringen. Zugleich ist das Projekt in sich abgeschlossen und aufgrund der hohen Zahl der beteiligten Einrichtungen bleibt Arbeit nicht an Einzelnen hängen. Jede:r kann sich so häufig oder selten einbringen, wie es Zeit und Lust zulassen.
Die große Begeisterung führt auch zu weniger Vorbehalten und mehr Pragmatismus in der Umsetzung. Es wird unkompliziert unterstützt. Hürden werden nicht als Mauern, sondern als gut bewältigbare Hindernisse wahrgenommen.
b) Weniger ist mehr
Zu Beginn standen viele weitere Ideen im Raum, wie ein Wärmestubenprojekt noch „aufgezogen“ werden kann: Spielecke, Kinderbetreuung, Arbeitsraum mit WLAN, Beratungsangebote, Kultur,… Der genau richtige Schritt war, klein anzufangen und dann anhand der Resonanzen der Gäste ggf. weitere Angebote schaffen. Aus heutiger Perspektive werden weitere Bausteine nicht benötigt, da die Bestandteile „Aufwärmen – Auftischen – Austauschen“ den Bedürfnissen der Zielgruppe entsprechen. Hier wurde im Vorhinein auf eine Überforderung der Mitarbeitenden und Überfrachtung des Angebots geachtet – weniger ist eben mehr.
c) Gemeinsam geht was
Ohne Frage wäre das Projekt von einer einzelnen Gemeinde kaum zu tragen. Die Vielzahl der Projektpartner und die Offenheit für außerkirchliche Player und Ehrenamtliche führen zu einer dynamischen Vermischung unterschiedlichster Personengruppen. Die Bereitschaft, sich einzubringen bzw. Gast zu sein ist hoch und die Vorbehalte gegenüber der Institution Kirche (in Marburg sehr groß) sind kaum ein Thema. Wichtiger ist das gemeinsame Anliegen, etwas Caritatives zu tun und Nächstenliebe zu praktizieren.
Je mehr unterschiedliche Menschen involviert sind, desto vielfältigere Charismen sind vorhanden. Dann können die verschiedenen Aufgaben besser aufgeteilt werden und kaum ein Bereich wird nur widerwillig ausgeführt. Im Gegenteil: Für fast alle Aufgaben gibt es jemanden, der das gerne macht und auch gut kann. Und: weitere Ideen ploppen auf, die gehört werden und zum Teil direkt in die Praxis umgesetzt werden (können), weil die Offenheit dafür da ist und nicht sofort „das klappt doch sowieso nicht“ gerufen wird.
Förderung
Bei allem Engagement kann die „Gute Stube“ nicht ohne Geld betrieben werden. Dies gelingt unter anderem dank der finanziellen Unterstützung der Stadt, die das Projekt auch mit Kaffee und Tee unterstützt, sowie zahlreicher Sach- und Geldspenden. Auch die strategische Initiative für Pastorale Innovation des Bistums Fulda fördert das Projekt mit einer Anschubfinanzierung in Höhe von 2500€. Herzlichen Dank für diesen großartigen Beitrag!
Wenn auch Sie dieses Projekt unterstützen möchten, können Sie Ihren Beitrag an eines der beiden Konten unter dem Stichwort "Gute Stube Marburg" überweisen:
Katholischer Pastoralverbund Marburg, IBAN: DE32 5335 0000 0000 0707 85, Sparkasse Marburg
Evangelisches Kirchenkreisamt Marburg, IBAN: DE81 5206 0410 0002 8001 01, Evangelische Bank
Text: Sebastian Bleek
Bilder: Privat , Pixabay
Pastoralassistent
Kath. Kirchengemeinde St. Peter und Paul
Dekanat Marburg - Amöneburg