Die Enthüllungen am Berliner Canisius-Kolleg im Jahr 2010 markierten einen Wendepunkt für die katholische Kirche in Deutschland. Die Vorfälle lösten einen bundesweiten Missbrauchsskandal aus und führten zu einer breiten öffentlichen Debatte über den Umgang der Kirche mit sexuellem Missbrauch. In der Folge habe die Deutsche Bischofskonferenz und die Bistümer zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Aufarbeitung, Prävention und Intervention zu verbessern.
Dabei hat die katholische Kirche in Deutschland mittlerweile erhebliche Fortschritte gemacht. Die systematische Herangehensweise und die umfassenden Maßnahmen in den Bereichen Prävention und Intervention sind in vielen Bereichen vorbildlich. Dennoch gibt es weiterhin Herausforderungen, insbesondere in der vollständigen Aufklärung der Fälle und des institutionellen Umgangs damit. Die kontinuierliche Arbeit unabhängiger Kommissionen, wie der im Bistum Fulda, spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Zu den seinerzeit von der Deutschen Bischofskonferenz und den Bistümern initiierten Schritten gehören die Beauftragung der so genannten MHG-Studie, die Einrichtung unabhängiger Kommissionen zur Aufarbeitung, die Einführung einer Rahmenordnung zur Prävention und die Entwicklung einer Interventionsordnung. Diese umfangreichen Maßnahmen zielen darauf ab, sexuellen Missbrauch systematisch aufzuarbeiten, zukünftigen Missbrauch zu verhindern und klare Verfahren für den Umgang mit Missbrauchsfällen festzulegen.
Im Bistum Fulda wie in anderen Diözesen schließt die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt an die Erkenntnisse der MHG-Studie an, die im September 2018 veröffentlicht wurde. Diese Studie, benannt nach den beteiligten Universitäten Mannheim, Heidelberg und Gießen, untersuchte anhand zigtausender Personalakten aus allen 27 deutschen Diözesen stichprobenartig den sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige. Für das Bistum Fulda deckte sie den Zeitraum von 2000 bis 2015 im Bistum Fulda ab.
Der Untersuchungsauftrag der unabhängigen Kommission im Bistum Fulda geht weit darüber hinaus: Die Kommission betrachtet systematisch die Personalakten und Fälle von 1945 bis heute und spricht darüber hinaus mit Betroffenen, Zeitzeugen und Verantwortungsträgern.
Nachdem Bischof Dr. Michael Gerber im Frühjahr 2020 die „Gemeinsame Erklärung über verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland“ unterzeichnet hatte, die Mitglieder der Kommission gefunden wurden und insbesondere die Betroffenenvertreter sich zur Mitarbeit bereiterklärt hatten, nahm die unabhängige Aufarbeitungskommission im Bistum Fulda im September 2021 ihre Arbeit auf.
Die unabhängige Kommission ist multiprofessionell besetzt und arbeitet vollständig unabhängig von der Diözesanleitung. Zwei der insgesamt neun Kommissionsmitglieder kamen aus dem Kreis der Betroffenen, zwei weitere wurden durch die Landesregierung vorgeschlagen. Die übrigen Mitglieder sind Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Fachpraxis, Justiz und öffentlicher Verwaltung.
Vorsitzender der Kommission ist der Jurist Gerhard Möller, ehemaliger Oberbürgermeister der Stadt Fulda. Zum Vorstandsteam gehören auch Edith Jordan, Diplom-Sozialpädagogin und ehemalige Jugendamtsleiterin des Landkreises Fulda, sowie Philip Zmyj-Köbel, der Erfahrungen als Vorsitzender Richter einer Großen Strafkammer sowie als Oberstaatsanwalt mitbringt.
Für ihre Zusammensetzung und Arbeitsweise orientiert sich die Kommission an den verbindlichen Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland. Diese wurden im Jahr 2020 gemeinsam vom Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung und der Deutschen Bischofskonferenz verabschiedet und gewährleisten eine systematische und transparente Aufarbeitung der Fälle.
Seit ihrer Gründung hat die unabhängige Kommission im Bistum Fulda in monatlichen Sitzungen sowie zusätzlicher Arbeit in Fachgruppen die Aufarbeitung vorangetrieben. Dazu hat sie zwei zentrale Arbeitskreise eingerichtet: „Betroffene hören“ und „Akteneinsicht“. Der Arbeitskreis „Betroffene hören“ bot Betroffenen und Zeugen sexualisierter Gewalt in Gemeinden oder kirchlichen Einrichtungen die Möglichkeit, ihre Erlebnisse vertraulich zu schildern. Diese Gespräche fanden mit einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in Räumen außerhalb kirchlicher Einrichtungen statt.
Der Arbeitskreis „Akteneinsicht“ hat systematisch die Aktenbestände des Bistums untersucht. Unterstützt wurde dieser Arbeitskries von mehreren pensionierten Kriminalbeamten, die ihre Expertise und Erfahrung in die Aktenarbeit einbringen konnten: Die ehemaligen Polizisten sind besonders geübt im Umgang mit großen Aktenmengen und können auffällige Einträge schnell identifizieren.
Im Jahr 2023 trat ein Betroffenenvertreter aus persönlichen Gründen zurück. Der Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Forensische Psychiatrie, Dr. Martin Flesch, schied zudem aufgrund beruflicher Verpflichtungen aus der Kommission aus. Für ihn als Nachfolgerin berufen wurde Dr. Anna-Maria Budczies. Sie war zuletzt mehr als 14 Jahre lang Direktorin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Fulda
Aufgrund der umfangriechen Aufgaben und Aktenbestände wurde die ursprünglich dreijährige Berufungszeit der Kommissionsmitglieder um ein Jahr bis zum 30. September 2025 verlängert. Bischof Dr. Michael Gerber betonte in diesem Zusammenhang die Bedeutung einer gründlichen und gewissenhaften Aufarbeitung und unterstützte die Verlängerung der Berufung der Kommissionsmitglieder bis zum Abschluss der Arbeiten.
Während der Arbeitsphase der Kommission wurde regelmäßig Öffentlichkeitsarbeit betrieben, um die Transparenz zu gewährleisten und um mögliche weitere Betroffene oder Zeitzeugen zu erreichen. Es gab Pressemitteilungen und Pressegespräche, in den Pfarrgemeinden und kirchlichen Einrichtungen wurden Flyer verteilt und eine eigene Website eingerichtet.
Im Januar 2023 legte die Kommission ihren ersten Zwischenbericht ihrer Arbeit vor. Dieser hob unter anderem die solide Arbeitsmethodik und die konstruktive Atmosphäre hervor. Der zweite Zwischenbericht betonte im März 2024 die Etablierung von Standards und Verfahren sowie die intensive Fortführung der Arbeit der beiden Arbeitskreise im Jahr 2023. Ein dritter Zwischenbericht beschrieb schließlich die Arbeitsschwerpunkte im Jahr 2024.
Die Kommission arbeitet derzeit intensiv an der Fertigstellung des Abschlussberichts. Dieser soll im Sommer 2025 veröffentlicht werden. Der Bericht wird die Ergebnisse der mehr als dreijährigen Tätigkeit der Kommission zusammenfassen und Empfehlungen für die Zukunft geben.
Die Kommission plant, ihre Erkenntnisse und Empfehlungen dann im Rahmen einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorzustellen. Anschließend wird die Bistumsleitung den Bericht entgegennehmen und sich intensiv damit beschäftigen, bevor sie sich in einem eigenen Pressetermin dazu äußern wird.
Weitere Informationen und Kontaktmöglichkeiten zur unabhängigen Aufarbeitungskommission gibt es im Internet unter: www.nur-mit-mut.de